Die wahre Geschichte hinter "Toxic Town"
In den 1990er-Jahren kamen in einer englischen Kleinstadt ungewöhnlich viele Kinder mit Missbildungen zur Welt. Ein Journalist deckte einen riesigen Umweltskandal auf. Der liefert nun die Vorlage für einen aktuellen Netflix-Hit.

Jodie Whittaker als Susan und Aimee Lou Wood als Tracy in dem Netflix-Highlight "Toxic Town".
© IMAGO / ZUMA Press
Giftmüll in der Luft führt im neuen Netflix-Drama "Toxic Town" dazu, dass Babys mit fehlenden Gliedmaßen und anderen körperlichen Anomalien geboren werden. Die schockierende Geschichte basiert auf einem realen Vorfall, bei dem Menschen in der englischen Stadt Corby toxischen Staub einatmeten, der später mit Geburtsfehlern bei Kindern in Verbindung gebracht wurde.
Die Geschichte von "Toxic Town" beruht auf einer wahren Geschichte
Das Urteil gegen die Verantwortlichen von Corby fiel im Jahr 2009. Zum ersten Mal stellte damals ein britisches Zivilgericht einen Zusammenhang zwischen Geburtsfehlern und dem fahrlässigen Umgang mit Giftmüll in der Luft her. Der bahnbrechende Fall, auch als "britische Erin Brockovich" bekannt, wurde durch Mütter aufgerollt, die Gerechtigkeit von Corbys Führung forderten. In der Serie spielt Jodie Whittaker die Rolle der Susan McIntyre, einer jungen Frau, die misstrauisch wird, nachdem ihr Baby mit einer deformierten Hand geboren wurde. Noch in der Klinik kommt sie mit einer anderen Mutter ins Gespräch, die ebenfalls ein Kind mit einem Geburtsfehler bekommen hat. Einige Zeit später erhält sie einen Anruf von einem Journalisten, der ihr erzählt, dass das kein Zufall ist…
Zahlreiche Kinder kamen mit Missbildungen zur Welt
Tatsächlich meldete der Journalist Graham Hind sich bei Susan McIntyre, als ihr Sohn 18 Monate alt war. 1999 erschein in der "Sunday Times" ein Artikel von ihm, der enthüllte, dass auffallend viele Kinder mit Missbildungen von Gliedmaßen, etwa fehlenden Fingern, in der Nähe giftiger Mülldeponien lebten, die einst mit einem ehemaligen britischen Stahlwerk in Verbindung standen. Graham Hind hatte einen Hinweis auf Probleme bei der Dekontaminierung in Corby erhalten und war auf mehrere Fälle von Kindern mit Geburtsfehlern gestoßen, deren Mütter in der Nähe des Standorts lebten oder arbeiteten. Ein Bericht lokaler Prüfer enthüllte, dass einer der Standorte, ein Steinbruch, hohe Konzentrationen von Arsen, Zink, Bor und Nickel enthielt, die die erlaubten Grenzwerte weit überschritten, selbst nachdem der Standort angeblich gereinigt worden war.
Kinderarzt John Scott, der an einer Studie mitwirkte, die einen Zusammenhang zwischen Geburtsfehlern und Mülldeponien herstellte, bezeichnete den Corby-Cluster als "eine frühe Warnung, dass etwas schieflaufen könnte". Hind erklärte im Gespräch mit dem "Time Magazine", dass die Mütter früh den Verdacht hatten, dass sie nicht die einzigen waren, deren Kinder mit auffälligen Missbildungen zur Welt kamen – und sie sollten recht behalten.
Nachdem Anwalt Des Collins, ein gebürtiger Corbyer, Hinds Artikel gelesen hatte, in dem vier Fälle von Missbildungen der Gliedmaßen bei Neugeborenen aufgedeckt wurden, beschloss er, weitere Mütter zu finden, die bereit waren, juristisch gegen die Verantwortlichen vorzugehen. Schließlich schlossen sich 19 betroffene Familien der Sammelklage an. "Unsere Geschichte war der Funke, der das Feuer entfachte", so Hind. "Die Opfer sind ganz normale Menschen, die den Preis für Misswirtschaft zahlen."
Es wurde ein Vergleich mit den Familien erzielt
Im Jahr 2009, ein Jahrzehnt nach der Veröffentlichung des Artikels, entschied ein Gericht, dass der Stadtrat von Corby für Fahrlässigkeit haftbar sei. Im April 2010 wurde ein Vergleich mit den Familien erzielt. Die genaue Höhe der Entschädigung, die die Mütter erhielten, gelangte nicht an die Öffentlichkeit. Susan McIntyre sagte später: "Geld interessierte keinen von uns. Alles, was wir wissen wollten, war: Warum? Warum ist uns das passiert? Wie können wir verhindern, dass es jemand anderem passiert?"